Dieses etwas anderes Pflanzenbuch dreht sich um Gewächse, denen wir mit Vorsicht oder zumindest mit Respekt begegnen sollten. Darunter sind Pflanzen, welche die meisten Leser vermutlich nie zu Gesicht bekommen werden genauso wie solche, mit denen wir tagtäglich im Garten zu tun haben. Die Gemeinsamkeit des porträtierten Grünzeugs besteht darin, dass es lästig, aggressiv oder giftig ist und unter Umständen sogar tödlich wirken kann. Die lose Sammlung von Pflanzenporträts liest sich stellenweise wie ein Krimi und ist ebenso spannend wie informativ. In den fesselnden Geschichten trifft man auf so exotische Giftpflanzen wie die übermannshohe, australische Brennnessel, deren bösartiges Neurotoxin bei Berührung Schmerzen auslöst, die bis zu einem Jahr andauern können. Noch faszinierender fand ich allerdings, die etwas weniger spektakulär wirkenden, aber dafür in unseren Gärten stets präsenten Pflanzen wie Hortensien, Rittersporn oder Hyazinthen einmal von ihrer gemeinen Seite kennenzulernen. Wußten Sie, dass es bei den Floristinnen eine Berufskrankheit namens "Tulpenfinger" gibt, die durch den reizenden Saft der Zwiebelblumen hervorgerufen wird?
Im großen und ganzen sind die Kapitel nach deutschen Pflanzennamen sortiert. Dazwischen gibt es aber immer wieder Beiträge, in denen einige Vertreter nach Eigenschaften zusammengefasst sind, beispielsweise giftige Pilze oder Pflanzen mit aggressiven Pollen. Diese Arten findet man dann nicht im Inhaltsverzeichnis und da das Buch auch kein Register anführt, ist es manchmal etwas mühsam, bestimmte Pflanzenbeschreibungen wiederzufinden. Ohnehin erhebt das Werk keinen wissenschaftlichen Anspruch und es ist auch keine Enzyklopädie, dazu ist das Thema auch viel zu vage gehalten. Vielmehr erscheint Gemeine Gewächse wie eine Mischung aus Pflanzen-Kulturgeschichte, Beipackzettel, Polizeibericht, und Klatschpresse. In den unterhaltsam-makaberen Geschichten sind aber dennoch jede Menge botanischer Hintergrundinformationen über die fiesen Florenvertreter verpackt. An manchen Stellen glaubt man, es mit einer Rezeptsammlung für exotische Drogenexperimente zu tun zu haben. Allerdings sind die Einflüsse der pflanzlichen Wirkstoffe so drastisch beschrieben, dass vermutlich auch hartgesottene Rauschpflanzenfreunde nicht zum Ausprobieren animiert werden.
Schaurig-schöne Illustrationen machen den unheimlichen Lesespaß komplett. Die ausdrucksstarken Radierungen von Briony Morrow-Cribbs und die makaberen Zeichnungen von Jonathon Rosen ergänzen sich dabei wunderbar und sorgen für Gänsehautstimmung. Nach dieser Lektüre tritt man den Pflanzen in Natur, Haus und Garten wieder mit gebührender Ehrfurcht entgegen und trägt bei der Gartenarbeit vermutlich öfter mal einen Schutzanzug.
Ein Buch für alle Garten- und Pflanzenfreunde mit einem Faible für Gruselgeschichten und Interesse an den Inhaltsstoffen und Wirkungsweisen vertrauter und unbekannter Gewächse.
Gemeine Gewächse
Das A bis Z der Pflanzen die morden, verstümmeln, betäuben und uns anderweitig ärgern
Amy Stewart
Berlin Verlag/Bloomsbury 2011
Taschenbuch
236 Seiten
EUR 11,95
Format 18,6 x 11,6 cm
ISBN-13: 9783833307157
In gekürzter Form erschien dieser Buchtipp in der Ausgabe Herbst/Winter 2010/2011 des Gartenkulturführers.