Bücher über essbares Unkraut sind ja derzeit schwer in Mode. Bei einigen dieser Publikationen hat man den Eindruck, dass primär versucht wurde, eine Fülle von Informationen zu möglichst vielen verschiedenen Pflanzenarten zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Das wilde Kräuterbuch geht andere Wege und präsentiert nur eine kleine Auswahl von Gewächsen, die noch dazu bereits über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügen. Beim ersten Durchblättern denkt man vielleicht: Giersch, Bärlauch und Wegerich - das ist doch ein alter Hut! Stimmt aber nicht, denn in den wunderbaren Geschichten, die Karin Greiner zu jedem der 14 Kräutlein verfasst hat, lernt man ganz neue und überraschende Seiten an den vertrauten Pflanzen kennen.
Mit ihrem beeindruckenden Talent, botanisches Fachwissen in fesselnde Texte zu verpacken, gelingt es der Diplom-Biologin, dass auf den ersten Blick unscheinbare Wildpflanzen zu sympathischen Charakterdarstellern werden, die wir unweigerlich in unser Herz schließen. So wie gleich zu Beginn des Buches den Giersch. Als gefürchtetes Unkraut hat er unzählige Staudenrabatten auf dem Gewissen und gierschgeplagte Hobbygärtner verfluchen die ausbreitungsfreudige Staude. Im wilden Kräuterbuch wird dieser Erzfeind aller pingeligen Gartenbesitzer als stolzer, grüner Teppich beschrieben, der so sehr durch seine Vitalität beeindruckt, dass es eine Freude ist, ihm beim Wachsen zuzuschauen. Selbst eingefleischte Gierschhasser müssen der Autorin in diesem Punkt zähneknirschend Recht geben. Der interessierte Leser erfährt auch, warum der Klee sauer wurde, hört vom ganz besonderen Zauber des Wiesenkerbels oder lernt die feinen Unterschiede zwischen Breit-, Spitz- und Mittlerem Wegerich kennen.
Die Geschichten sind gleichermaßen lehrreich wie unterhaltsam und viele Eigenschaften oder Bestimmungsmerkmale der Pflanzen, die beim sturen Auswendiglernen gerne mal verwechselt werden, kann man sich mit Hilfe der fantasievollen Erzählungen sicher einprägen. Zugleich erhält man damit auch Material, um bei Spaziergängen oder Führungen seine Mitmenschen auf die Wunder der Natur aufmerksam zu machen. Daher ist es ein ideales Buch für alle, die in der Umweltbildung tätig sind.
Zu jeder vorgestellten Pflanze gibt es Bestimmungshilfen, die nötigenfalls auch durch Pflanzen ergänzt werden, mit denen akute Verwechslungsgefahr besteht. Dieses Wissen kann unter Umständen lebensrettend sein, beispielsweise beim Bärlauch, welcher für Laien nur schwer zu unterscheiden ist, von den hochgiftigen Gewächsen Herbstzeitlose, Aronstab oder Maiglöckchen.
Leider sind im Inhaltsverzeichnis nicht die Namen der beschriebenen Pflanzen zu finden, sondern nur die Titel der Geschichten, in denen sie porträtiert werden. Als Verfechterin vielsagender Inhaltsverzeichnisse habe ich mir die Pflanzennamen einfach selber dazugeschrieben, aber das übersichtliche Layout ist auch sehr hilfreich, um einzelne Pflanzen im Buch bei Bedarf schnell wiederzufinden. Nach der Beschreibung und Bestimmung der wilden Kräuter folgt jeweils ein Rezeptteil mit zwei bis drei leckeren Küchenideen pro Pflanze. Schade, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, die Rezepte auszuprobieren, denn schon die Abbildungen davon verheißen unvergessliche, kulinarische Erlebnisse.
Das Buch ist wirklich üppig und aussagekräftig bebildert. Mit ihren stimmungsvollen Makroaufnahmen gelingt es Renate Blaes, dass man an Pflanzen, die man schon viele Male gesehen hat, plötzlich ganz neue, aufregende Details findet. Die Rezeptfotos stammen von Karin Greiner und nicht nur in der stimmigen Ergänzung der Bilder erkennt man, dass die beiden ein eingespieltes Team sind. So ist es schön zu lesen, dass der zweite Teil des wilden Kräuterbuches bereits in Arbeit ist.
Ein zauberhaftes Lesebuch über die Schönheiten am Wegesrand, mit einer Sammlung ausgefallener Kräuterrezepte. Für Gärtner und Naturfreunde, die mehr oder weniger bekannte Wildpflanzen ganz neu entdecken möchten oder frische Ideen für die Küche suchen.
Das wilde Kräuterbuch
Fabeln, Fotos, Kräuterkunde, Rezepte
Karin Greiner, Renate Blaes
Edition Blaes 2011
Broschiert
128 Seiten
EUR 24,95
Format 21 x 21 cm
ISBN 978-3-942641-02-9
Renate Blaes hat nicht nur einen Teil der Bilder für das wilde Kräuterbuch gemacht, sondern ist auch für dessen Design und Satz verantwortlich und obendrein noch Verlegerin.
Ihr kleiner Verlag Edition Blaes, der seit Anfang 2011 besteht, lässt sich sehr vielversprechend an und wir sind schon gespannt, auf weitere Publikationen des Hauses.
Mehr wunderbare Bilder von Renate Blaes gibt es auf ihrem Ammersee-Fotoblog zu sehen.
In gekürzter Form erschien dieser Buchtipp in der Ausgabe 2012 des Gartenkulturführers.
Von der Autorin Karin Greiner haben wir 2010 das Buch Die geheimen Gärten von Amsterdam vorgestellt. Im Februar 2014 ist Glück aus dem Garten erschienen.
Frau Greiners Gartentipps kann man nicht nur regelmäßig im Bayerischen Rundfunk hören und unter BR-online nachlesen, sondern auch auf ihrem schönen Pflanzenlust-Blog.