Kaum ein Tag vergeht, ohne Zeitungsberichte, Radio- oder Fernsehbeiträge über Großstädter, die angeblich gerade das Gärtnern neu erfinden. Diese neue Gartenbewegung fällt vor allem dadurch auf, dass sie sich sehr medienwirksam inszeniert, was ja grundsätzlich begrüßenswert ist. Die von der Landlust befallenen Stadtmenschen geben Interviews in Lifestyle-Magazinen, tingeln durch Talkshows und schreiben über ihre Aktivitäten Bücher, welche natürlich auch mit Guerilla-Marketing-Methoden beworben werden. Das wiederum erhöht aber die Anzahl der unverlangt zugeschickten Büchersendungen in meinem Briefkasten, die selbstredend immer mit einer Aufforderung nach Bewertung daherkommen und mittlerweile bin ich davon ein wenig genervt. Auf ähnliche Art ist neulich schon das Buch Mit Samenbomben die Welt verändern bei mir gelandet, allerdings kam das etwas einfallsreicher daher (mit einer Samenbombe, die sogar bestens funktioniert hat). Ich mag es aber trotzdem nicht, wenn mir ohne vorherige Rücksprache Bücher zugeschickt werden!
So, genug gemeckert, ich hab dennoch mal reingeschaut und es nicht bereut: Das Werk befasst sich mit den vielfältigen Formen urbanen Gärtnerns, abseits der klassischen Kleingartenkolonie. Nach einer Einführung in das Thema und einer Übersicht über die verschiedenen Gartenformen geht um Auswirkungen auf die Stadtentwicklung, Möglichkeiten von Natur- und Artenschutz sowie um die politischen Dimensionen, welche die neue Gartenbewegung mit sich bringt. Veranschaulicht wird das Ganze durch sehr lebendige Porträts unterschiedlicher Gartenprojekte, deren Akteure sich vom gemeinen Schrebergärtner vor allem dadurch unterscheiden, dass sie überwiegend gemeinschaftlich arbeiten und dass ihr Engagement oft weit über den Gartenzaun hinausreicht.
So wie das CSA (Community Supportet Agriculture, zu deutsch: Solidarische Landwirtschaft) Projekt von Waldgärtner Siggi Fuchs, der für seine Münchner Community am Stadtrand Gemüse anbaut, darunter einige Dutzend verschiedene Tomatensorten. Oder die Kleinstadt Andernach im Rheintal, die mit der Pflanzung von Obst, Gemüse und Kräutern im öffentlichen Raum ihre Bürger ermuntern möchte, auch selbst mehr zu säen und zu pflanzen. Die "essbare Stadt" darf von den Bewohnern sogar eigenhändig beerntet werden, was erstaunlich gut und ohne größere Schäden funktioniert.
Das Buch ist unterhaltsam geschrieben und sehr praxisorientiert. Die zweckdienlichen Tipps reichen von der Kräuterbeet-Anlage bis zur Permakultur, es geht um Bio-Anbau und Saatgutgewinnung oder Pflanzung in Hochbeeten und Kübeln. Daneben werden drängende Probleme wie das Saatgutmonopol einiger weniger Großkonzerne, verseuchte Böden oder das Bienensterben angesprochen, denen man als Gärtner ja immerhin in bescheidenem Maß entgegenwirken kann. Die einzelnen Beiträge sind insgesamt kurz und knapp verfasst, enthalten dabei aber alle relevanten Informationen, die experimentierfreudige Neugärtner brauchen, um gleich mit dem Säen und Pflanzen beginnen zu können.
Die Bilder sind von unterschiedlicher Qualität und Herkunft, was in dem Zusamenhang an sich ganz gut passt, da die Texte ebenfalls ein bisschen durcheinandergewürfelt wirken. Das ausführliche Inhaltsverzeichnis und ein ordnendes Layout mit gefälligem Schriftbild bringen die einzelnen Elemente dann wieder ganz übersichtlich zusammen.
Eine nützliche Starthilfe für gärtnerische Laien, die in der Stadt ein Stück Land beackern möchten. Viele Praxistipps und Adressen, Garten- und Pflanzenporträts sowie interessante Zahlen und Fakten über Landwirtschaft und Ernährung machen daraus ein ebenso informativen wie unterhaltsamen Führer durch die wachsende, städtische Gartenlandschaft.
Vom Gärtnern in der Stadt
Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt
Martin Rasper
oekom 2012
Broschiert
206 Seiten
EUR 19,95
Format 22,4 x 14,6 cm
ISBN-10: 3865811833
ISBN-13: 978-3865811837
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