Tätigkeiten, die wir mit Naturverbundenheit assoziieren stimmen tatsächlich oft sehr wenig mit unserer romantischen Vorstellung davon überein. Vermutlich gilt das für alle sogenannten grünen Berufe, aber besonders für das Berufsbild Förster/in, welches nach wie vor sehr von Klischees genährt wird, die aus einschlägigen Heimatfilmen der 50er und 60er Jahre stammen dürften. Imagebildende Maßnahmen der Forstverwaltungen tun ein Übriges, um sämtliche Eingriffe in unseren Wäldern als notwendige und nützliche Taten und damit die Wald- und Forstarbeiter entsprechend als Freunde der Natur darzustellen. Dass dem nicht so ist und die Wälder unter den gängigen Bewirtschaftungsformen und vor allem unter den in ihnen lebenden, übergroßen Wildpopulationen sehr leiden, wird in diesem Buch anschaulich erklärt.
Der Autor und engagierte Förster Wohlleben setzt auf konsequent ökologische Bewirtschaftung des ihm anvertrauten Waldes. Bei der aktuellen Ausrichtung der Forstwirtschaft und übermächtigen Einfluss der Jagdlobby fragt man sich allerdings, wie er das hinbekommt und obendrein damit auch noch wirtschaftlich erfolgreich ist. Tatsächlich musste er dazu erst seine Beamtenstelle kündigen. Zeitgleich beendete die Gemeinde ihre Verträge mit der Landesforstverwaltung, um den Wald fortan selbst zu verwalten. Wohlleben wechselte in ein Angestelltenverhältnis bei der Kommune, die seine Pläne unterstützte. Damit konnte er beginnen, "seinen" Wald nach ökologischen Gesichtspunkten zu bewirtschaften. Dass so ein Vorhaben eine große Herausforderung ist, wird auf jeder Seite des Buches deutlich. An Ideen mangelt es dem findigen Förster aber nicht. Seine Angebote reichen von Survivalkursen für zahlende Gäste bis zu einem Bestattungswald bei dem er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Die Alternative zum Friedhof erfreut sich großer Nachfrage und die Erlöse sind ähnlich hoch wie bei der Holzernte - mit dem Unterschied, dass die Bäume dabei erhalten bleiben. Mehr noch: das auf diese Arten genutzte Waldstück darf die nächsten 99 Jahre nicht mehr angetastet werden.
Die Schilderungen des Autors legen nahe, dass bei der ökologischen Forstwirtschaft nicht etwa der Pflanzenschutz oder die schonende Holzernte die größten Herausforderungen darstellen, sondern die Zusammenarbeit mit den Jagdpächtern. Liest man von den Schäden, die durch ein Zuviel an Wild verursacht werden, fragt man sich schon, warum dies heute, wo die Jagd nicht mehr der Ernährungssicherung sondern ausschließlich dem Freizeitspaß dient, überhaupt noch zulässig ist. Vielleicht muten wir unseren derart strapazierten Wäldern diese eigentlich überflüssige Belastung nur aus Unwissenheit zu. Es wird deutlich, dass die staatlichen Forstverwaltungen von der Jagdlobby gelenkt werden. Mutig macht Wohlleben darauf aufmerksam, dass wir alle für ein Hobby von wenigen Privillegierten bezahlen müssen. Dabei zählt er neben den Schäden an den Forstpflanzen und dem daraus resultierenden erhöhten Aufwand bei der Pflanzenpflege auch Dinge, die uns erst auf den zweiten Blick als Resultate der übertriebenen Wildhege auffallen. Dazu gehören die zahlreichen Wildunfälle, die er ebenso auf die unnatürlich großen Mengen von Rehen, Wildschweinen und Hirschen zurückführt, wie den übermäßige Anstieg der Zeckenpopulationen, mit ihren unschönen Konsequenzen für die erholungssuchenden Waldspaziergänger.
Ein sehr spannendes Kapitel widmet sich den Auswüchsen des manchmal sehr fragwürdig verwendeten Begriffs "Naturschutz". Der Autor stellt fest, dass damit häufig Kulturlandschaften wie zum Beispiel die Heide oder Streuobstwiesen belegt werden, die ohne menschliche Eingriffe überhaupt nicht bestehen könnten. Er zeigt auf, wie opportunistisch unsere Naturschutzpolitik ist. Da werden beispielsweise winzige und ökologisch wenig bedeutende Waldparzellen einfach zur Gesamtfläche der Schutzgebiete hinzugerechnet, nur weil sie von ihren Besitzern aktuell nicht genutzt werden. Dass das größte deutsche Naturschutzgebiet im Wattenmeer liegt, ist seiner Meinung nach keineswegs dessen besonderer Schutzbedürftigkeit geschuldet, sondern vielmehr dem Umstand, dass an dieser Landschaft kaum wirtschafliches Interesse besteht.
Der Autor wünscht sich mehr Engagement für die heimischen Wälder. Er bemerkt aber, dass deutsche Naturschützer sich eher für brasilianische Regenwälder einsetzen, als auf den Raubbau an Buchenwäldern im eigenen Land einzugehen. Er appelliert an unsere Vorbildfunktion und wirft ein, dass wir keine ernstzunehmenden Verhandlungspartner im Schutz der Amazonasregenwälder sein können, wenn wir es nicht einmal vor unserer eigenen Haustüre schaffen, einen angemessenen Prozentsatz der Natur unter Schutz zu stellen. Konkret spielt er dabei auf das sogenannte Fünf-Prozent-Ziel an - eine angestrebte Marke der Bundesregierung, nach der eine entsprechende große Waldfläche dauerhaft geschützt werden soll, was aber von den Forst- und Holzverbänden bisher kaum akzeptiert wird. Solche und viele weitere bewegende Details gibt es in diesem Buch zu lesen, welches übrigens gänzlich ohne Bilder auskommt und dabei an keiner Stelle langatmig wird.
Ein spannende, informative und kurzweilige Abhandlung über Zustand und Funktion unserer Wälder, durchsetzt mit persönlichen Erlebnissen eines engagierten Försters. Ein Muss für alle, die am Wald und an ökologischer Forstwirtschaft interessiert sind.
Der Wald - ein Nachruf
Wie der Wald funktioniert, warum wir ihn brauchen und wie wir ihn retten können - ein Förster erklärt
Peter Wohlleben
Ludwig 2013
Gebundene Ausgabe
256 Seiten
EUR 19,99
Format 20,4 x 13,4 cm
ISBN-10: 3453280415
ISBN-13: 978-3453280410
Der Autor stellt sein Buch im Rahmen einer Lesung am 23.04.2013 bei Bücher Pustet in Freising vor. Weitere Informationen und Veranstaltungstermine finden Sie auf der Website von Peter Wohlleben.
Weitere Links zum Buch:
Neues aus dem Forsthaus (Facebook-Seite des Autors)
Ebenfalls von P. Wohlleben ist dieses lesenswerte Buch: Bäume verstehen